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CME-Literatur

Aktuelle Therapieansätze bei chronischerlymphatischer Leukämie

Hämatologie

Einleitung

Die chronische lymphatische Leukämie (CLL) stellt mit jährlich 4,8 Neuerkrankungen pro 100 000 Einwohner die häufigste Leukämie in Europa und Nordamerika dar. [1] Betroffene sind zum Zeitpunkt der Erstdiagnose im Durchschnitt 72 Jahre alt.


Diagnostische Kriterien

Zur Diagnose einer CLL sind ein Blutbild mit Differenzierung, ein Blutausstrich und eine Immunphänotypisierung notwendig. Als diagnostisch für eine CLL gilt der über mindestens drei Monate anhaltende Nachweis von ≥ 5 x 109/L klonalen B-Lymphozyten im peripheren Blut. [2, •3] Im Blutausstrich überwiegen kleine, morphologisch reif wirkende Lymphozyten mit marmorierter Kernstruktur. Im Rahmen eines Harmonisierungsprojekts im Bereich Immunphänotypisierung wurde festgestellt, dass zur Bestätigung der Diagnose der Nachweis von CD19, CD5, CD20, CD23 und κ- sowie λ-Leichtketten meist genügt. [4] CLL-Zellen koexprimieren das CD5-Antigen zusammen mit den B-Zell-Antigenen CD19, CD20 und CD23 sowie entweder κ- oder λ-Immunglobulin-Leichtketten.


Staging und Risikostratifizierung

Mit der Rai- und Binet-Klassifikation existieren bei der CLL zwei breit akzeptierte Systeme zum Staging der Patienten. [5, 6] Diese Klassifikationen teilen die Patienten anhand von Laborparametern wie Hämoglobinwert und Thrombozytenzahl sowie der klinisch feststellbaren Lymphknoten-, Milz- oder Lebervergrösserung (Anzahl betroffener Körperregionen) in verschiedene Stadien ein.
Zudem wurden in den letzten Jahren zahlreiche Biomarker mit prognostischer Relevanz identifiziert. [7–9] Als prognostisch ungünstig angesehen werden dabei unter anderem eine del(17p), eine del(11q), eine TP53-Mutation, unmutierte variable Segmente der Immunglobulinschwerketten-Gene (IGHV) sowie ein erhöhtes Serum-β-Mikroglobulin. Einige dieser Parameter fliessen denn auch in den vor einigen Jahren entwickelten CLL International Prognostic Index (CLL-IPI) ein. [10] Dieser Index teilt die Patienten in vier prognostische Kategorien ein. Das 5-JahresGesamtüberleben bei Behandlung mit konventioneller Chemoimmuntherapie lag dabei in der Gruppe mit dem niedrigsten Risiko bei 93,2 % und in der Gruppe mit sehr hohem Risiko bei 23,3 %. [9]


Therapieindikation und prätherapeutische Untersuchungen

Ob eine neu diagnostizierte CLL behandelt wird, hängt davon ab, in welchem Erkrankungsstadium sich der Patient befindet und ob er Symptome aufweist. Generell gilt, dass asymptomatische Patienten in einem frühen Erkrankungsstadium (Rai 0–2, Binet A + B) lediglich überwacht werden sollten («watch and wait»). [2] Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Behandlung dieser Patienten zu keinem Überlebensvorteil führt. Selbst beim Vorliegen von Risikofaktoren ist eine Behandlung dieser Patienten allenfalls innerhalb klinischer Studien angezeigt. [1]
Vor Beginn einer CLL-Behandlung sollten verschiedene zusätzliche Untersuchungen durchgeführt werden (Tab. 1). Dies einerseits, um das Ansprechen auf konventionelle Chemoimmuntherapien abschätzen zu können, andererseits um zu beurteilen, ob ein Patient körperlich fit genug ist, bestimmte Therapien zu tolerieren. [•11]

Tab. 1: Untersuchungen vor Einleitung einer Therapie [11•]

Eine Behandlungsindikation besteht im Stadium Binet C sowie im Stadium Binet B oder A, falls weitere Kriterien erfüllt sind: [•11]

  • Auftreten/Verschlechterung einer Anämie/Thrombozytopenie infolge einer durch die CLL-verursachten Knochenmarkinsuffizienz

  • Massive (> 6 cm unter dem Rippenbogen), progrediente oder symptomatische Splenomegalie

  • Massive (> 10 cm im Durchmesser), progrediente oder symptomatische Lymphadenopathie

  • Lymphozytenverdopplungszeit von weniger als 6 Monaten oder 50 %iger Anstieg in 2 Monaten, ausgehend von einem Basiswert von mindestens 30 x 109/L und nach Ausschluss anderer Ursachen für eine Zunahme der Lymphozytose (z. B. Steroidtherapie, Infektionen)

  • Auf Standardtherapie refraktäre Autoimmunzytopenie

  • Eines der folgenden konstitutionellen Symptome

    • Ungewollter Gewichtsverlust > 10 % in 6 Monaten

    • Fieber unklarer Ursache für mehr als 2 Wochen

    • Nachtschweiss über mehr als einen Monat ohne Nachweis einer Infektion

    • Schwerwiegende Fatigue (Einschränkung der Arbeitsfähigkeit)


Erstlinientherapie

Für die Erstlinientherapie einer CLL stehen verschiedene Optionen zur Verfügung. Die Therapiewahl orientiert sich dabei an den genetischen Veränderungen der Erkrankung, an der Belastung des Patienten durch allfällige Komorbiditäten, z. B. anhand des CIRS (Cumulative Illness Rating Scale)-Scores und der Nierenfunktion. [•11] Neben der Chemoimmuntherapie stehen heute auch gezielte Therapien zur Verfügung und die Palette an Optionen erweitert sich laufend.

Chemoimmuntherapie

Seit den Resultaten der CLL8-Studie wird die bis dahin bei CLL eingesetzte Chemotherapie mit Fludarabin (F) und Cyclophosphamid (C) standardmässig in Kombination mit dem CD20-Antikörper Rituximab (R) verabreicht (FCR). [12] In dieser Studie waren 3 Jahre nach Randomisierung noch 65 % der Patienten der FCR-Gruppe ohne Progression im Vergleich zu 45 % in der FC-Gruppe (HR: 0,56; 95 % CI: 0,46–0,69; p < 0,0001), 87 % bzw. 83 % der Patienten waren am Leben. Unter der Chemoimmuntherapie FCR traten jedoch Neutropenien und Leukopenien vom Grad 3/4 häufiger auf als unter FC.
In der CLL10-Studie wurde FCR mit der Kombination aus Bendamustin und Rituximab (BR) verglichen. [13] Dabei konnte für BR zwar keine bessere Wirksamkeit, dafür aber ein günstigeres Toxizitätsprofil (seltener schwere Neutropenien und Infektionen) festgestellt werden. BR wird daher vor allem für den Einsatz bei fitten, aber über 65 Jahre alten Patienten empfohlen. [•11, 14] In der MABLE-Studie – sie schloss für eine fludarabinhaltige Therapie nicht geeignete Patienten ein – führte BR im Vergleich zu Chlorambucil/Rituximab zu einem signifikant längeren progressionsfreien Überleben (PFS) bei gleichem Gesamtüberleben (OS). [15] Daher kann BR auch für Patienten mit leicht bis mässig eingeschränkter Nierenfunktion oder Begleiterkrankungen empfohlen werden, aufgrund derer eine Fludarabin-haltige Therapie nicht infrage kommt. Die CLL11-Studie schliesslich zeigte, dass bei älteren Patienten mit Komorbiditäten die Kombination aus Chlorambucil und dem neuen CD20-Antikörper Obinutuzumab im Vergleich zu Chlorambucil/Rituximab zu höheren Raten kompletter Remissionen sowie einer deutlichen Verlängerung des PFS und, nach längerem Follow-up, auch des OS führte. [16, 17]
Anhand der Patienten aus der CLL8-Studie konnten Böttcher et al. bestätigen, dass die minimale Residualerkrankung (Minimal Residual Disease, MRD) ein von der Therapie unabhängiger Prädiktor für das PFS und OS darstellt. [18] Stilgenbauer et al. konnten zeigen, dass weitere genetische Marker einen starken Einfluss auf das Therapieansprechen und das OS aufweisen. [19] Insbesondere TP53- und SF3B1-Mutationen erwiesen sich als unabhängige prognostisch ungünstige Marker. Patienten mit einer NOTCH1-Mutation konnten zudem nicht von der Zugabe von Rituximab zu einer Chemotherapie mit FC profitieren. Auch Patienten mit BIRC3-Mutationen scheinen ungenügend auf eine Chemoimmuntherapie anzusprechen. [20]
Thompson et al. zeigten schliesslich deutlich, dass FCR nur bei Patienten mit IGHV-mutierter CLL ohne del(17p13) zu einer sehr guten und lang anhaltenden Krankheitskontrolle führen kann. Das 12,8-Jahres-PFS lag bei 53,9 % für Patienten mit IGHVmut, aber nur bei 8,7 % bei einer IGHVunmut Erkrankung. [21] Das entsprechende OS betrug 65,5 % für Patienten mit IGHVmut und 32,2 % für IGHVunmut.

Gezielte Therapien

Gezielte Therapien spielen bei der CLL eine zunehmend wichtigere Rolle. Ibrutinib, ein Hemmer der Bruton-Tyrosinkinase (BTK), bewirkte in der Studie RESONATE-2 bei komorbiden Patienten ≥ 65 Jahre im Vergleich zu Chlorambucil ein signifikant besseres 18-Monats-PFS (90 % vs. 52 %) und 24-Monats-OS (98 % vs. 85 %) sowie eine signifikant höhere Remissionsrate (Gesamtansprechrate: 86 % vs. 35 %). [22] Die Vorteile von Ibrutinib blieben auch über ein Follow-up von 5 Jahren erhalten (PFS: 70 % vs. 12 %). [23] Wie sich zeigte, konnten besonders auch Patienten mit einem ungünstigen Risikoprofil (TP53-Mutation, del[11q] und/oder IGHVunmut) von Ibrutinib profitieren. In der iLLUMINATE-Studie bei (meist älteren) Patienten mit Komorbiditäten schnitt die Kombination Ibrutinib-Obinutuzumab unabhängig von Risikofaktoren besser ab als Chlorambucil-Obinutuzumab, zumindest in Bezug auf das PFS. Das OS verlängerte sich in dieser Studie jedoch nicht. [24] Die Nachbeobachtungszeit ist allerdings erst kurz.
Als weitere, gezielt wirkende Therapie wurde in der CLL14-Studie der BCL2-Inhibitor Venetoclax in Kombination mit Obinutuzumab als zeitlich für ein Jahr befristete Therapie bei Patienten mit Komorbiditäten eingesetzt. Diese Kombination erreichte mit einem 2-Jahres-PFS von 88,2 % ein signifikant besseres Resultat als die Standard-Chemoimmuntherapie mit Chlorambucil-Obinutuzumab (2-Jahres-PFS: 64,1 %). [25]
In der ALLIANCE-Studie wurde bei mindestens 65-jährigen, «fitten» CLL-Patienten Ibrutinib – alleine oder in Kombination mit Rituximab – mit der Chemoimmuntherapie BR verglichen. Die Ibrutinib-Monotherapie erwies sich dabei in Bezug auf das PFS gegenüber BR als überlegen. Zwischen Ibrutinib als Monotherapie und seiner Kombination mit Rituximab ergab sich kein signifikanter Unterschied. [26] In der E1912-Studie wurden Ibrutinib und Rituximab (IR) mit FCR verglichen. [27, 28] Bei einem Follow-up von mittlerweile 45 Monaten zeigte IR nach wie vor ein signifikant längeres PFS als FCR. Besonders die Subgruppe der IGHV-unmutierten Patienten erreichte mit IR ein signifikant längeres PFS als mit FCR. Bei einer niedrigen Anzahl an Todesfällen war auch das Gesamtüberleben mit IR länger als mit FCR, in erster Linie bedingt durch die deutlich schlechtere Prognose der IGHV-unmutierten Patienten nach FCR.

Konzept für die Erstlinientherapie

Aufgrund der aktuellen Datenlage empfiehlt sich folgendes Konzept für die Wahl der Erstlinientherapie (Abb. 1):

  • Bei Patienten mit del(17p)/TP53-Mutation: Ibrutinib oder Venetoclax-Obinutuzumab (Letzteres ist in der Schweiz nicht zugelassen.)

  • Bei IGHV-unmutierten Patienten: Ibrutinib oder Venetoclax-Obinutuzumab sind gegenüber einer Chemoimmuntherapie (FCR, BR, Chlorambucil-Obinutuzumab) zu bevorzugen.

  • Bei IGHV-mutierten Patienten: Eine Chemoimmuntherapie ist gleichwertig mit einer gezielten Therapie. Aufgrund der längeren Erfahrung und niedrigeren Kosten stellt sie gegenüber Venetoclax-Obinutuzumab oder Ibrutinib weiterhin eine gute Option dar.

Abb. 1: Wahl der Erstlinientherapie


Rezidivtherapie

Die Wahl der Rezidivtherapie hängt von Faktoren wie Alter und Komorbiditäten, von Parametern wie der Art der Primärtherapie, der damit erreichten Remissionsdauer und von biologischen Charakteristiken der Erkrankung ab (z. B. del[17p] bzw. TP53-Mutation). [•11] Da sich solche biologischen Faktoren (mit Ausnahme des IGHV-Mutationsstatus) im Laufe einer CLL auch verändern können, sollten vor dem Start einer Rezidivtherapie die prätherapeutischen Untersuchungen wiederholt werden. Bei klinischen Hinweisen (z. B. asymmetrisches Wachstum von Lymphknoten, B-Symptome, inadäquate LDH-Erhöhung) gilt es zudem, mithilfe einer Lymphknotenbiopsie (oder ggf. Biopsie eines anderen Gewebes) eine Richter-Transformation auszuschliessen. [2]

Chemoimmuntherapie

Bei Patienten mit einem ersten CLL-Rezidiv verglich die REACH-Studie die Chemoimmuntherapie FCR mit der Kombinationschemotherapie FC. [29] FCR führte hier zu einem signifikant längeren PFS als FC. Auch andere Parameter wie Ansprechrate und -dauer, die Zeit bis zur nächsten CLL-Therapie sowie das ereignisfreie Überleben waren unter FCR signifikant besser.
Die Chemoimmuntherapie mit FCR zeigte auch in einer Phase-II-Studie hohe Ansprechraten (Gesamtansprechrate: 74 %), ein geschätztes medianes PFS von 21 Monaten und ein geschätztes medianes OS von 47 Monaten (allerdings ohne Verfügbarkeit heutiger gezielter Therapien im Rezidiv!). Besonders Patienten mit ≤ 3 Vortherapien, ohne Fludarabin-Resistenz oder Patienten ohne Hochrisiko-Zytogenetik (Chromosom 17 oder komplexe zytogenetische Anomalien) zeigten öfters ein gutes und teils länger anhaltendes Ansprechen. [30] Die Zugabe von R zu FC hat somit sowohl die Erstlinien- als auch die Rezidivtherapie der CLL verbessert, auch wenn das mediane PFS nur 21 bis 30 Monate beträgt.
Fischer et al. untersuchten BR in einer Phase-II-Studie als Rezidivbehandlung. [31] Ihre Arbeit schloss einen relevanten Anteil an Fludarabin-refraktären Patienten sowie einen hohen Anteil an Patienten mit einer del(17p) und IGHVunmut Erkrankung ein. Die Behandlung erwies sich als gut verträglich und wirksam. Die Gesamtansprechrate betrug 59 %. Von den Fludarabin-refraktären Patienten sprachen 45,5 % an, von den Patienten mit del(17p) 7,1 % und von den Patienten mit IGHVunmut-Status 58,7 %. Nach einem medianen Follow-up von 24 Monaten betrug das mediane PFS 15,2 Monate (del[17p] 6,8 Monate, IGHVunmut 13,8 Monate).
Generell muss gesagt werden, dass mit Chemoimmuntherapien die Remissionsdauer im Rezidiv mit 1,5 bis 2,5 Jahren kurz ist (abhängig von Genetik sowie Art und Ansprechdauer auf die Vortherapie).

Self Check

Überlegen Sie:
Was sollte in der Rezidivsituation auf jeden Fall überprüft werden?

Anamnese, klinische Untersuchung, genetische Untersuchungen (del[17p13], TP53, IGHV), weitere Laboranalysen, Sonografie, CT oder MRI von Hals/Thorax/ Abdomen. Bei klinischen Hinweisen sollte mit einer Lymphknotenbiopsie eine Richter-Transformation ausgeschlossen werden.

Gezielte Therapien

Patienten mit einer primären Resistenz gegenüber einer Erstlinien-Chemo(immun)therapie, einer progressionsfreien Zeit von weniger als 3 Jahren nach einer Fludarabinhaltigen Erstlinien-Chemo(immun)therapie sowie Patienten mit del(17p)/TP53-Mutationen sprechen in der Regel ungenügend auf eine Zweitlinien-Chemoimmuntherapie an. [2] Bei diesen Patienten kommen folgende Optionen, bzw. der Einschluss in klinische Studien, infrage:

  • Ibrutinib: Der BTK-Inhibitor Ibrutinib führte in der RESONATE-Studie im Vergleich zum CD20-Antikörper Ofatumumab zu einer signifikanten Verlängerung des PFS und OS. [32] Die finale Analyse der Studie ergab ein medianes PFS von 44,1 Monaten für Ibrutinib vs. 8,1 Monate für Ofatumumab. [33] Bei häufig genutzter Möglichkeit eines Cross-overs von Ofatumumab zu Ibrutinib ergab sich ein Trend für längeres OS für die initial mit Ibrutinib behandelten Patienten (HR: 0,81; 95 % CI: 0,60–1,09).

  • Idelalisib und Rituximab: Bei Patienten, die aufgrund einer zytotoxischen Vortherapie, einer eingeschränkten Nierenfunktion oder von Komorbiditäten (CIRS > 6) für eine Chemoimmuntherapie nicht in Betracht kamen, führte der PI3Kδ-Inhibitor Idelalisib kombiniert mit Rituximab im Vergleich zu einer Rituximab-Monotherapie (in Europa weder zugelassener noch üblicher Vergleichsarm!) zu einer signifikanten Verlängerung des PFS und OS. [34]

  • Venetoclax und Rituximab: In der MURANO-Studie wurde eine zeitlich begrenzte Behandlung (2 Jahre) mit Venetoclax und Rituximab (VenR) mit einer Standardbehandlung mit BR verglichen. [35] Ein kürzlich präsentiertes Update der Studie mit einem medianen Follow-up von 48 Monaten bestätigte den bereits in den früheren Analysen gezeigten Vorteil von VenR gegenüber BR hinsichtlich PFS (HR: 0,19; p < 0,0001) und OS. [36] Bei den Patienten, welche die 2-jährige Therapie mit VenR abgeschlossen hatten, betrug das PFS 24 Monate nach Therapieabschluss (bzw. 4 Jahre nach Therapiebeginn) 68 %. Patienten mit einer nicht mehr nachweisbaren MRD erreichten besonders häufig ein anhaltendes Ansprechen. Auch bezüglich OS (4-Jahres-OS: VenR 85,3 %, BR 66,8 %; HR: 0,41; p < 0,0001) ergab sich ein anhaltender Vorteil von VenR. Die Resultate von MURANO sprechen dafür, dass CLLPatienten mit einer zeitlich begrenzten chemotherapiefreien Behandlung mit Venetoclax und Rituximab auch im Rezidiv längerfristig ohne Krankheitsaktivität bleiben können.

Konzept für die Rezidivtherapie

Aufgrund der aktuellen Datenlage empfiehlt sich folgendes Konzept für die Wahl der Rezidivtherapie:

  • Gezielte Therapien werden im Rezidiv generell bevorzugt.

  • Im Rezidiv neu aufgetretene del(17p)/ TP53-Mutation: Venetoclax-Rituximab oder Ibrutinib (oder Idelalisib-Rituximab)

  • Bereits vorbestehende del(17p)/TP53-Mutation: Wechsel zwischen Venetoclax-Rituximab oder Ibrutinib (oder Idelalisib-Rituximab)

  • Keine del(17p)/TP53-Mutation: je nach Zulassungsstatus Venetoclax-Rituximab («Rezidiv»), Ibrutinib («Frührezidiv») oder Idelalisib-Rituximab («Frührezidiv» und Ibrutinib oder Venetoclax-Rituximab nicht möglich)

  • Chemoimmuntherapie nur in Ausnahmefällen bei Spätrezidiv mit günstigen genetischen Eigenschaften (IGHVmut, keine del[17p], keine TP53-Mutation), wenn gezielte Therapien nicht eingesetzt werden können/nicht verfügbar sind


Allogene Stammzelltransplantation

Der Stellenwert der allogenen Stammzelltransplantation (SZT) hat durch die Verfügbarkeit von hochwirksamen gezielten Therapien in den letzten Jahren abgenommen. Für Patienten, die trotz moderner Therapien weiterhin eine relativ ungünstige Prognose aufweisen, bleibt sie jedoch eine gute, potenziell kurative Option. Die European Research Initiative on CLL (ERIC) und die European Society for Blood and Marrow Transplantation (EBMT) sehen eine allogene SZT nur bei Patienten vor, bei denen eine Langzeitkontrolle mit gezielten Substanzen nicht zu erwarten ist. [37]


Blick in die Zukunft

Die Entwicklungen auf dem Gebiet der CLL schreiten laufend voran. So wird unter anderem nach neuen prognostischen und prädiktiven Faktoren für ein Ansprechen auf die gezielten Therapien gesucht, um so ihren Einsatz zu optimieren.
Als mögliche neue Therapieoptionen werden unter anderem die Kombinationen Venetoclax-Ibrutinib sowie VenetoclaxIbrutinib-Obinutuzumab, sowohl in der Rezidivsituation als auch als Erstlinientherapie, untersucht. [37] Jain et al. setzten Ibrutinib und Venetoclax als Erstlinientherapie bei älteren und Hochrisikopatienten ein. Nach 12 Zyklen der kombinierten Gabe stellten sie eine CR/CRi-Rate von 88 % fest, 61 % der Patienten wiesen eine nicht mehr nachweisbare MRD (uMRD) im Knochenmark auf. [38] Das Update der Studie mit einem medianen Follow-up von 27 Monaten ergab nach 24 Zyklen eine uMRD-Rate von 75 %. [39] Weder das mediane PFS noch das mediane OS waren erreicht.
Bei rezidivierten/refraktären CLL-Patienten führten 24 Zyklen Ibrutinib-Venetoclax nach einem medianen Follow-up von 22,3 Monaten zu einer uMRD-Rate von 67 %. [40] Auch hier waren das mediane PFS und OS nicht erreicht. Rogers et al. setzten die Dreierkombination Venetoclax-Ibrutinib-Obinutuzumab bei rezidivierten/refraktären sowie bisher unbehandelten CLL-Patienten ein. [41, 42] Auch damit liessen sich hohe Ansprechraten und bei einem Teil der Patienten auch eine uMRD erreichen. Das Nebenwirkungsprofil stimmte mit dem bekannten Profil der einzelnen Substanzen überein. Insbesondere wurde kein Fall eines Tumorlysesyndroms registriert.
Therapie-naive CLL-Patienten (≥ 65 Jahre oder < 65 Jahren mit Komorbiditäten) werden in der Studie ELEVATE TN untersucht. [43] Sie evaluiert die Wirksamkeit und Sicherheit des hochselektiven BTK-Hemmers der zweiten Generation, Acalabrutinib (Acala), im Vergleich zu Acalabrutinib + Obinutuzumab (Acala-O) vs. Obinutuzumab + Chlorambucil (O-Clb). Acala-O sowie eine Acala-Monotherapie führten nach einem medianen Follow-up von 28 Monaten zu einem signifikant längeren PFS als O-Clb (HR Acala-O vs. O-Clb: 0,10; p < 0,0001; HR Acala vs. O-Clb: 0,20; p < 0,0001). Das mediane Gesamtüberleben (OS) wurde in keinem Behandlungsarm erreicht. Als Nebenwirkungen von besonderem Interesse wurden in den Acala-haltigen Therapiearmen unter anderem Vorhofflimmern, Hypertonie und Blutungen beobachtet (wie bekannt von Ibrutinib, möglicherweise seltener, aber keine sichere Aussage bezüglich Häufigkeit ohne direkten Vergleich).
Weitere BTK-Inhibitoren werden derzeit in Phase-II- und Phase-III-Studien geprüft.
Duvelisib, ein PI3Kδ-Hemmer, führte in einer Phase-III-Studie bei rezidivierten CLL-Patienten im Vergleich zu Ofatumumab zu einem signifikant längeren PFS und einer signifikant höheren Gesamtansprechrate bei einem handhabbaren Nebenwirkungsprofil. [44]

Zusammenfassung der in diesem med·Diplom vermittelten Lerninhalte
Die Therapie der CLL hat sich in den letzten fünf Jahren wesentlich verändert. Gezielt wirkende Substanzen haben, zunächst in der Rezidivtherapie, einen festen Platz in der Behandlung dieser Erkrankung erhalten. In der Ersttherapie der CLL zeigten mehrere randomisierte Studien Vorteile für Ibrutinib (teils kombiniert mit Rituximab oder Obinutuzumab) sowie Venetoclax kombiniert mit Obinutuzumab im Vergleich zur Chemoimmuntherapie als bisherigem Therapiestandard. Dieser Vorteil ist am ausgeprägtesten bei Patienten mit Hochrisiko-CLL. Die Kombination von gezielt wirkenden Molekülen aus verschiedenen Substanzklassen, wie BTK-Inhibitoren (Ibrutinib oder Acalabrutinib) und BCL2-Inhibitoren (Venetoclax), scheint eine synergistische Wirkung zu haben. Diese Kombinationen, allenfalls ergänzt durch monoklonale Antikörper, sind die derzeit vielversprechendsten Therapieoptionen.
Schliesslich sucht die aktuelle Forschung nach prädiktiven Faktoren für den Einsatz zielgerichteter Substanzen, um diese bei jedem Patienten in einer optimalen Kombination und Therapiesequenz einsetzen zu können.

Klinische Relevanz
Im klinischen Alltag kann bereits heute bei der Mehrzahl der CLL-Patienten mit zielgerichteten Therapien eine langfristige Krankheitskontrolle bei guter Lebensqualität erreicht werden.


Das sollten Sie lesen:

Der Autor empfiehlt folgende Referenzen als wissenschaftlich und/oder praktisch besonders relevant (im Text und in der Literaturliste markiert mit •).


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